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Streit um die Mauer von Hösel

Im Ratinger Stadtteil kocht die Volksseele. Mitten im Ort soll eine fünf Meter hohe Mauer gebaut werden. Anwohner sollen dadurch vor Lärm geschützt werden, der sie eigentlich gar nicht stört

Die Sonne scheint durch die Küchenfenster bis auf die Arbeitsplatte. Dort schnippelt Linda Gehring Zwiebeln und Möhren, für das Ossobuco, das sie abends ihren Gästen servieren wird. Auf dem Sportplatz vor dem Haus toben Kinder, die Bambini und die E-Jugend des Sportvereins Hösel trainieren.

Ab und zu blickt Linda Gehring auf und schaut ihnen einen Augenblick zu. "Schön, dass man nachmittags die Kinder hört", sagt die 47-Jährige. Auch ihre beiden Kinder, Viola und Julian, spielen im Sommer auf dem Sportplatz. Linda Gehring kann den Geschwistern von der Küche aus zusehen.

Mit dem freien Blick auf den Sportplatz und die Bäume dahinter könnte es bald vorbei sein. Die Stadt Ratingen, zu der das Dorf Hösel gehört, will zwischen der Häuserzeile und dem Sportplatz eine Mauer bauen, fünf Meter hoch, 120 Meter lang. Zum Schutz der Anwohner vor dem Lärm, den der Sportplatz verursacht - obwohl er die Anwohner eigentlich gar nicht stört und keiner von ihnen eine Mauer will. Eine Provinzposse und der vorläufige Höhepunkt eines jahrzehntelangen Streits.

Seit über dreißig Jahren ist Karl Ernst Tewes Vorsitzender des Sportvereins Hösel. Fast genauso lange dauert bereits die Diskussion um den alten Sportplatz an. Er liegt mitten im Ort, praktisch für die benachbarte Grundschule, die im Sommer dort ihren Schulsport abhält. Zwei Vereine teilen sich den Platz, der noch immer mit roter Schlacke bedeckt ist.

Seit Jahren wurde nichts mehr an Platz und Duschräumen gemacht, entsprechend sieht es dort aus. "Wenn es regnet, schwimmt der Platz weg", sagt Jugendleiter Thomas Fußbahn, der die E-Jugend trainiert. Die Duschräume sind so verkommen, dass Eltern bei Auswärtsspielen Bedenken haben, ihre Kinder dort duschen zu lassen. "Marode Kiste", nennt wiederum der Vorsitzendes des Turnvereins, Klaus Ferger, die Anlage.

Im vergangenen Herbst überstimmte der Stadtrat den Vorschlag der Verwaltung, den Platz an den Rand von Hösel zum verlegen. Sanierung hieß die Lösung. Ein Lärmschutzgutachten machte wiederum diesen Ratsbeschluss zunichte. Es ergab, dass die gesetzlichen Richtwerte am Sportplatz überschritten werden. Ein Anwohner habe sich wegen des Lärms beschwert, heißt es aus der Verwaltung. Damit der Platz bleiben kann und der Spielbetrieb nicht eingeschränkt werden muss, soll nach Vorstellungen der Verwaltung für über 170 000 Euro eine Mauer gebaut werden. "Dann hätte ich in meiner Küche gar kein Licht mehr", sagt Linda Gehring. Ihr Nachbar Jürgen Werntges will seinen Vorgarten planieren, falls die Mauer kommt, denn "mit der Mauer liegt dort alles im Dunkel".

Die Diskussion in Hösel ist inzwischen aufgeheizt, angestachelt durch die Medien, die über die "Mauerbau von Hösel" berichten.

"Das ist der Medienrummel, sonst nichts. Die Verwaltung will die Mauer im Grunde nicht", sagt Lothar Diehl von der Bürgerunion. Dieser Gruppierung gehört auch der Ratinger Bürgermeister Harald Birkenkamp an. "Ich habe städtebauliche Bedenken gegen eine Schallschutzmaßnahme dieser Höhe geltend gemacht", erklärt Baudezernent Ulf-Roman Netzel.

Ohne Lärmschutz jedoch kann der Sportplatz nicht in der Ortsmitte bleiben. Zu groß ist die Angst der Verwaltung, jemand könnte später gegen die Stadt Ratingen klagen, weil sie wissentlich keinen Lärmschutz gebaut hat. Die Lösung des Problems scheint die Verlegung des Sportplatzes an den Rand des Dorfes zu sein, zum Kalkeskamp, die Variante, die die Verwaltung von Anfang an vorschlug.

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Die Anwohner des alten Sportplatzes vermuten, dass die Mauer-Debatte gezielt geführt wird, um mit dem Widerstand der Höseler gegen die Mauer den Weg für die Verlegung frei zu machen - und gleichzeitig für den Verkauf des ehemaligen Sportplatzes als Baugrundstücke, zugunsten der Stadt, versteht sich. Entweder 43 Einfamilienhäuser oder 14 Villen sollen auf dem Gelände entstehen, lautet das hartnäckige Gerücht.

"Die Verwaltung will uns von hier vertreiben", glaubt der Vorsitzendes des Sportvereins, Karl Ernst Tewes. "Das vermutet der Herr Tewes schon lange. So einen blanken Unsinn habe ich in meinem Leben noch nicht gehört. Wenn man an Verfolgungswahn leidet, sollte man zum Psychiater gehen", sagte Baudezernent Netzel daraufhin gegenüber Radio Neandertal in der vergangenen Woche. Karl Ernst Tewes hat nun seinen Anwalt eingeschaltet. Eine weitere Eskalation des Streits um den Sportplatz, der die Lösung nicht einfacher macht.

Um diese ringen die Parteien im Stadtrat derzeit. Am kommenden Donnerstag treffen sich der Sportausschuss und der Bezirksausschuss Hösel, um weiter zu diskutieren. Eine schnelle Lösung erwartet angesichts der langen Vorlaufzeit keiner der Beteiligten. Linda Gehring hofft, dass die Politiker die richtige Entscheidung treffen: "Bislang fühlen wir uns ziemlich ausgeliefert", sagt sie. Den Plänen der Verwaltung, aber auch den "Hobbypolitikern", den "Laien", wie die Grünen-Ratsherrin Sabine Frölich-Dykmanns sich selbst beschreibt.

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